Was tun, wenn das eigene Kind nur noch mit dem Smartphone oder Computer beschäftigt ist, Noten schlechter und Freundschaften nicht mehr gepflegt werden?
Was ist Mediensucht?
Mediensucht ist ein Sammelbegriff für eine exzessive und unkontrollierte Nutzung von digitalen Medien. Darunter fallen beispielsweise die Nutzung von Handys, Computern und Konsolen für Computerspiele, sozialen Netzwerken oder Streaming-Diensten. Im Unterschied zu den stoffgebundenen Abhängigkeiten von Alkohol oder anderen Drogen ordnet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihrem aktuellen Klassifikationssystem „International Classification of Diseases“ (ICD-11) die Computerspielsucht als “Verhaltenssucht” ein. Für die anderen Nutzungsformen gibt es noch keine eigenständige Diagnose. Bei der Computerspielsucht führt das häufige Computerspielen durch körpereigene, biochemische Veränderungen zu einem Belohnungseffekt (wie z.B. Entspannung, Befriedigung und Ablenkung), weshalb dieses Verhalten häufig wiederholt wird. Negative Gefühle wie Stress, Ängste und Frustrationen werden hingegen verdrängt. Auch das ist angenehm und führt zu einer Wiederholung des Computerspielverhaltens.
Mediensucht ist charakterisiert durch ein anhaltendes oder wiederkehrendes Spielverhalten, das gekennzeichnet ist durch
KONTROLLVERLUST ÜBER DIE MEDIENNUTZUNG
reduzierte Kontrolle über das Spielen (in Bezug auf Beginn und Ende der Spielphasen, die Häufigkeit und Intensität des Spielens, die Dauer und den Kontext, in dem gespielt wird).
COMPUTERSPIELEN WICHTIGER ALS ANDERES
gesteigerte Wichtigkeit, die dem Computerspielen gegenüber anderen Interessen und alltäglichen Aktivitäten (wie Hobbys, Schule, Freund*innen oder Familie) eingeräumt wird.
FORTSETZUNG TROTZ NEGATIVER FOLGEN
Fortsetzung oder Steigerung des Computerspielens trotz des Auftretens negativer Konsequenzen (wie z.B. Streit mit Freund*innen und Familie, schlechte schulische Leistungen oder körperliche Beschwerden).
Kommt es durch die Priorisierung des Computerspielens zu einem zunehmenden Verlust von belohnenden Effekten in der realen Welt (z.B. durch Sport, Freund*innen, Kunst, Natur, Erfolge), liegt eine problematische Computerspielnutzung vor. Betroffene verbringen dann immer mehr Zeit in der virtuellen Welt, in der sie Anerkennung, Erfolg und Wertschätzung erfahren. Die reale Welt wird hingegen immer mehr vernachlässigt, da sie nicht so schnelle Erfolgserlebnisse und Glücksgefühle verspricht. Die Balance zwischen den Lebensbereichen gerät mehr und mehr aus dem Gleichgewicht, Tätigkeiten in der realen Welt machen keinen Spaß mehr und es kommt zu erheblichen negativen Konsequenzen (z.B. Konflikte, Motivationsprobleme, Einsamkeit, schlechte Noten). Der Kompensationszwang durch das Computerspielen als einzig verbleibende belohnende Aktivität ist so hoch, dass Betroffene nicht mehr damit aufhören können, ohne in eine emotionale Krise zu rutschen.
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der 12-19-jährigen Jungen nutzen täglich/ mehrmals pro Woche Computerspiele (auf PC, Konsole, Tablet oder Handy)
Quelle: JIM 2018
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der 12-19-jährigen Mädchen nutzen täglich/ mehrmals pro Woche Computerspiele (auf PC, Konsole, Tablet oder Handy)
Quelle: JIM 2018
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der 12-17-Jährigen zeigen eine Mediensucht
Quelle: BZgA, 2017
Tim, 12 Jahre
Die alleinerziehende Mutter Britta berichtet:
„Früher war Tim ein aufgeweckter Junge, der sich gerne mit seinen Freunden traf und etwas mit ihnen unternahm. Als er älter wurde und ich wieder Vollzeit zu arbeiten begann und so erst gegen Abend nach Hause kam, überbrückte er oft die Zwischenzeit mit Computerspielen. Seine Hausaufgaben machte er erst dann, wenn ich da war. Mit Freunden traf er sich gar nicht mehr. Das Computerspielen wurde für ihn zum einzigen Hobby. Er vernachlässigte die Schule, spielte trotz Verbot häufig bis spät in die Nacht und vergaß sogar des Öfteren etwas zu Mittag zu essen. Als dann auch noch die Lehrer sich bei mir meldeten und mich baten für ein Gespräch in die Schule zu kommen, fing ich an mir ernsthafte Sorgen um Tim zu machen. So konnte es nicht mehr weitergehen, das wusste ich. Glücklicherweise wurde ich auf die Computerspielsucht-Beratung aufmerksam gemacht, die ich dann dankbar in Anspruch nahm.”
Janina, 14 Jahre
und Anika, 15 Jahre
Ihre Eltern David und Maria berichten:
Was können Eltern tun?
Tipps & Empfehlungen
INTERESSE ZEIGEN
Zeigen Sie Interesse an der virtuellen Welt Ihres Kindes. Welche Spiele spielt es? Welche Websites besucht es am liebsten?
REDEN UND HINTERFRAGEN
Was fasziniert Ihr Kind an der virtuellen Welt? Warum spielt es bestimmte Spiele? Traut es sich nur online, mit Freunden zu kommunizieren? Hat es auch andere Lebensbereiche, die ihm Spaß machen? Wo kann man Grenzen setzen?
VEREINBARUNG TREFFEN
Treffen Sie frühzeitig innerhalb der Familie eine Vereinbarung, wie lange welches Gerät genutzt werden darf
(z.B. auch als Vertrag: www.mediennutzungsvertrag.de)
VORBILDFUNKTION
Überprüfen Sie Ihr eigenes Medienverhalten und leben Sie einen maßvollen Umgang, auch mit dem Handy, vor.
ALTERNATIVEN BIETEN
Bieten Sie dem Kind genug Alternativen zu digitalen Medien: gemeinsam Karten-/Brettspiele spielen; Ausflüge; ermutigen Sie ihr Kind an anderen Aktivitäten teilzunehmen.
Elterliche Präsenz
Wenn es bei Kindern und Jugendlichen zu einer übermäßigen Mediennutzung kommt, mündet dies bei Eltern oft in Gefühlen der Hilflosigkeit und Ohnmacht. Meist geht dies auch mit Tendenzen zu Passivität und Rückzug einher, die zu einer Schwächung der elterlichen Präsenz führen. Eine starke elterliche Präsenz wiederzuerlangen, kann hilfreich sein um aus der elterlichen Hilflosigkeit auszubrechen und gemeinsam mit dem Kind Lösungen zu erarbeiten, wie ein ausgeglichener Umgang mit Medien erreicht werden kann.
Wie kann ich meine elterliche Präsenz stärken?
Die „Elterliche Präsenz“ ist ein von Arist von Schlippe und Haim Omer (2002; 2004) entwickeltes Konzept, das eine bereichernde Beziehung und wertschätzende Kommunikation zwischen Eltern und ihren Kindern beschreibt. Mit „Elterlicher Präsenz“ ist dabei eine bestimmte Haltung der Eltern gemeint, die dem Kind vermitteln soll, dass sie für das Kind da sind und bleiben, dass sie nicht bestechlich sind, nicht über- oder umgangen oder abgeschüttelt werden können. Präsent sein bedeutet also, dass die Eltern als Person mit ihren Wünschen, Gefühlen und Handlungen anwesend sind und das nicht nur gedanklich, sondern auch körperlich mit ihrer Existenz den Raum einnehmen. Es geht hierbei aber nicht um eine von Überlegenheit und Macht gekennzeichnete Autorität, sondern vielmehr um eine auf der Gleichberechtigung der Stimmen basierenden Kooperation zwischen beiden, wenn auch durchaus ungleichen Partnern. Die „Elterliche Präsenz“ lässt sich dabei über drei verschiedene Facetten beschreiben: den Erlebensaspekt, den Verhaltensaspekt und den systemischen Aspekt.
Erlebensaspekt:
Damit ist die Fähigkeit der Eltern gemeint, ihre persönlichen Bedürfnisse, Gedanken, Gefühle und Wünsche wahrzunehmen, sowie ihre persönlichen Präferenzen und Neigungen ausdrücken. Es geht also darum, als Mutter oder Vater eine eigene Stimme zu haben. Eine gute elterliche Präsenz auf dieser Ebene geht mit folgenden Überzeugungen einher:
- Ich denke, dass ich meinem Kind eine gute Mutter / ein guter Vater bin.
2. In Erziehungsfragen fühle ich mich kompetent.
3. Ich bin es wert, als Mutter/Vater von meinem Kind geachtet zu werden.
4. Ich glaube, dass mein Kind das Bild hat, dass ich hinter ihm stehe.
5. Ich besitze die Fähigkeiten, das Verhalten meines Kindes zu beeinflussen.
6. Auf meine Intuition als Mutter/Vater kann ich mich verlassen.
7. Ich habe das Gefühl, dass das, was ich tue, Ausdruck meiner eigenen Gefühle und Werte ist.
Verhaltensaspekt:
Hierbei geht es um die Umsetzung elterlicher Kompetenzen, wie z.B. das Kind zu schützen, zu versorgen und zu lenken. Auch fällt hierunter die körperliche Präsenz, also ein anwesendes Verhalten der Eltern, das durch Fürsorge und Interesse am Kind gekennzeichnet ist. Überzeugungen, die eine gute elterliche Präsenz auf der Verhaltensebene widerspiegeln sind:
- Ich weiß, was mein Kind beschäftigt und kann seine Stimmung erkennen.
2. Durch mein Verhalten ermögliche ich es meinem Kind, Gefühle und Probleme anzusprechen.
3. Es gibt Situationen, in denen ich mein Kind in seinem Zimmer aufsuche.
4. Bei Auseinandersetzungen mit meinem Kind rede ich auch von meinen eigenen Gedanken und Gefühlen.
5. Ich kenne die Hobbys meines Kindes.
6. Ich bin aufmerksam für mein Kind und nehme mir Zeit für es.
7. Ich unterhalte mich mit meinem Kind und fördere seine Interessen.
Systemischer Aspekt:
Hierbei geht es um die Frage nach Unterstützung durch das soziale Umfeld (wie z.B. Partner*in, Familienmitglieder, Verwandte, Nachbar*innen und Freund*innen). Die Präsenz des sozialen Umfelds stärkt dabei die elterliche Präsenz und ermöglicht den Austausch über Sorgen und Unsicherheiten. Beispiele hierfür sind:
- Ich habe das Gefühl, dass es Menschen gibt, die auf meiner Seite stehen.
2. Ich spreche mit meinem Partner/ meiner Partnerin über die Probleme in der Erziehung.
3. Ich kann mir im Notfall Hilfe holen.
4. Ich kenne andere Eltern, mit denen ich meine Erfahrungen austauschen kann.Sie können Ihre eigene elterliche Präsenz anhand der oben genannten Fragen überprüfen. Die Fragen, die Sie noch nicht mit „Ja“ beantworten können, geben Ihnen dabei mögliche Hinweise darauf, in welchen Bereichen Sie Ihre elterliche Präsenz noch ausbauen bzw. stärken können.
Wo bekomme ich Unterstützung?
Elterliche Präsenz kann trainiert werden. Oft wird der Austausch mit anderen Eltern als hilfreich erlebt. In einem Elterntraining besteht darüber hinaus die Möglichkeit, hilfreiche Strategien im Umgang mit seinen Kindern zu üben und sich auszutauschen. Über verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten berät Sie gerne unsere Fallmanagerin.
Sie brauchen Hilfe?
Zögern Sie nicht!